Rechenleistung und Speicherkapazität aus der Wolke auch für High-Performance-Computing? Eine Bestandsaufnahme von Oliver Tennert
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Der Autor Oliver Tennert ist Director HPC-Solutions bei Transtec in Tübingen
HPC-Anwendungen in der Cloud nutzen: Prinzipiell klingt das verlockend. Die Vorteile der Cloud wie hohe Skalierbarkeit und Flexibilität sollten doch eigentlich auch problemlos im Umfeld von HPC-Anwendungen zum Tragen kommen. Doch das Thema ist komplexer als vermutet.
Dass HPC (High-Performance-Computing)-Anwendungen im Trend liegen, ist heute keine Frage mehr. Und sie sind keineswegs mehr nur ein Thema von großen Konzernen und Unternehmen oder Forschungsinstituten und Universitäten. Auch kleine und mittelständische Unternehmen nahezu jeder Branche nutzen immer häufiger HPC-Applikationen, da dies inzwischen nicht mehr mit extrem hohen Kosten verbunden ist.
Im industriellen Umfeld werden HPC-Systeme vor allem genutzt für die Entwicklung neuer und die Verbesserung vorhandener Produkte oder Produktkomponenten, die Optimierung von Produktionsprozessen und die Analyse großer Datenbestände. In der Automobilindustrie sind beispielsweise heute Hunderte von Ingenieurdienstleistern tätig, die den Herstellern HPC-gestützt zuarbeiten. So werden wichtige KFZ-Komponenten wie Bremsen, Sitze, Airbags, Einspritzpumpen oder Klimaanlagen und deren Verhalten tausendfach simuliert, bevor sie letztendlich in die Produktion gehen.
Cloud bietet Vorteile.
Voraussetzung für die Nutzung von HPC-Anwendungen ist eine Infrastruktur mit hoher Rechenkapazität, wie sie mit einer Cluster-Lösung realisierbar ist. Die Notwendigkeit für Unternehmen, eine solche Umgebung aufzubauen, führt aber zwangsläufig zur Frage, ob nicht auch eine Cloud-Nutzung für HPC-Systeme infrage kommt, das heißt die Inanspruchnahme von HPC-Kapazitäten von einem externen Dienstleister.
Zunächst verspricht die Cloud-Nutzung natürlich einige Vorteile. Zum Beispiel ist es dann nicht erforderlich, eigene HPC-IT-Ressourcen aufzubauen und vorzuhalten – unter Berücksichtigung der für HPC-Applikationen spezifischen Sizing-Thematik im Rechenzentrum im Hinblick auf Aspekte wie CPU- und GPU-Leistung, Arbeitsspeicher, Storage-Kapazität oder Netzwerk. Auch die schnellere Skalierbarkeit der Infrastruktur bei einem externen Dienstleister spricht für die Cloud. Und nicht zuletzt kann mit einer HPC-Cloud auch der unternehmensinterne Administrationsaufwand deutlich verringert werden.
Wie bei jeder Entscheidung für die Cloud sind auch beim Thema HPC Cloud-typische Aspekte wie Bandbreite, Verfügbarkeit, Datenmigration oder Festlegung von Service Level Agreements zu beachten. Zusätzlich gibt es aber auch mehrere HPC-Spezifika, die im Hinblick auf eine mögliche Cloud-Nutzung zu berücksichtigen sind. Im Wesentlichen betrifft das die drei Aspekte Sicherheit, Datenmenge und Lizenzmodell, die vielfach der Grund sind, dass HPC-Systeme nicht in der Cloud betrieben werden:
Erstens sind HPC-Daten in aller Regel unternehmenskritisch. Für Industrieunternehmen stellen sie meistens einen wesentlichen Bestandteil der eigenen Wertschöpfungskette dar. Das spricht häufig gegen eine Auslagerung der Daten in eine Public Cloud.
Zweitens erschwert das Problem des Transfers großer Datenmengen die HPC-Cloud-Nutzung. Das betrifft sowohl die umfangreichen Input-Daten für Analysen als auch die großen Ergebnisdatensätze von Simulationsläufen, deren Postprocessing im eigenen Unternehmen und unter Nutzung der vorhandenen Infrastruktur erfolgt.
Drittens sind auch die Lizenzmodelle der Applikationshersteller nach wie vor ein Hinderungsgrund für eine breitere Nutzung von HPC-Cloud-Modellen, denn bei vielen Anwendungen ist keine On-Demand-Nutzung möglich.
HPC-Anwendungen werden Cloud-fähig.
Generell stehen heute immer mehr – auch lastintensive – HPC-Applikationen für eine Cloud-Nutzung zur Verfügung. Eine aktuelle Innovation betrifft zum Beispiel das Remote 3D Processing.
Transtec arbeitet in diesem Bereich mit dem Grid- und Cloud-Lösungsanbieter NICE zusammen. Das Unternehmen stellt eine Lösung zur Remote-Visualisierung bereit, die unter anderem ein inkrementelles Provisioning, On-Demand-Allokation sowie ein effizientes Management von Lizenzen und interaktiven Sessions bietet.
Insgesamt zeigt sich, dass das Thema „Rechenleistung und Speicherkapazität aus der Wolke“ natürlich auch im HPC-Umfeld Relevanz besitzt. Allerdings sollten die Problemstellungen im Hinblick auf Sicherheitsanforderungen, HPC-typische Datenmengen und Lizenzmodelle nicht unterschätzt werden. Eine differenzierte Herangehensweise mit dem Abwägen von Vor- und Nachteilen ist für jedes Unternehmen zu empfehlen, das sich mit dem Gedanken trägt, Cloud-Dienstleistungen für HPC-Systeme zu nutzen. Auch wenn sich ein Unternehmen zunächst gegen eine HPC-Cloud entscheidet, bleibt ein konkreter Anwendungsfall immer noch denkbar: das Cloud-Bursting, das heißt der Zugriff auf zusätzliche Cloud-Ressourcen, wenn sich Engpässe bei den HPC-Rechenkapazitäten im eigenen Rechenzentrum ergeben.