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Ein subtiler Wandel zeichnet sich ab, der unsere Beziehung zur Verbrauchertechnologie neu definiert: Während immer mehr Menschen einen Rückzugsort vor ständiger Ablenkung suchen, entstehen Geräte, die Achtsamkeit und Fokussierung über ein Übermaß an flüchtigen Reizen stellen. Ab 2025 und darüber hinaus wird Technologie uns stärken statt ablenken – und wir werden davon profitieren.
Foto: Amazon Web Services
Werner Vogels ist Chief Technology Officer bei Amazon.com, wo er für die Entwicklung der kundenorientierten Technologievision des Unternehmens verantwortlich ist. Als eine der treibenden Kräfte hinter Amazons-Cloud-Computing-Ansatz ist es seine Leidenschaft, jungen Unternehmen dabei zu helfen, globale Größe zu erreichen, und Unternehmen in schnelllebige digitale Organisationen zu verwandeln.
In einer Welt, in der unsere Geräte eine Erweiterung unseres Selbst sind, ist das Einfangen von Aufmerksamkeit zu einer milliardenschweren Industrie geworden. Jeder Swipe, jede Schlagzeile und jede Benachrichtigung sind sorgfältig darauf ausgelegt, uns zu fesseln. Dieses unermüdliche Streben nach Aufmerksamkeit hat unbeabsichtigte Folgen wie steigende Angstzustände, Depressionen und ein allgegenwärtiges Gefühl der Ablenkung mit sich gebracht. Zwischen 2009 und 2022 stieg die tägliche Nutzung sozialer Medien bei Jugendlichen von 50 Prozent auf 95 Prozent – und die psychische Gesundheit vieler verschlechterte sich. 72 Prozent der US-Highschool-Lehrer:innen betrachten die Ablenkung durch Smartphones als ein großes Problem. Die Studie „Stress in America“ ergab, dass Personen, die ständig ihr Handy überprüfen, ein durchschnittlich höheres Stressniveau aufweisen. Interne Dokumente von TikTok zeigen zudem, dass Nutzer:innen bereits nach 35 Minuten Nutzung süchtig werden können. Diese alarmierenden Trends unterstreichen die dringende Notwendigkeit, unsere Beziehung zur Technologie zu überdenken und einen bewussten, achtsamen Umgang in den Vordergrund zu stellen.
Als Reaktion auf diese Herausforderungen entsteht eine wachsende Bewegung, die sich auf bewusste Trennung und achtsame Technologiewahl konzentriert. Schulen auf der ganzen Welt führen Handyverbote mit beeindruckenden Ergebnissen ein. An der Grant High School in Portland ist es während der Mittagspause wieder laut, da sich die Schüler:innen von Angesicht zu Angesicht unterhalten. Lehrer:innen berichten von einer verbesserten Konzentration im Unterricht und weniger Mobbingfällen. Diese erzwungene Trennung wird auch bei Erwachsenen immer beliebter. Der Offline Club in Amsterdam, der Anfang 2023 ins Leben gerufen wurde, bietet einen Zufluchtsort vor der digitalen Welt und hat innerhalb weniger Monate über 150.000 Anhänger:innen gewonnen. Diese Initiativen signalisieren einen breiteren Wandel in unserer Denkweise über Technologie und deren Nutzung.
Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der Dokumentationsprozess bei Amazon. Unabhängig von Rolle oder Hierarchie wird erwartet, dass gute Ideen in schriftlicher Form ausgearbeitet werden. Ist der Text fertig, kommen die Beteiligten zusammen, lesen ihn still für sich, machen sich Notizen und diskutieren anschließend. Dieser Prozess zwingt alle dazu, präsent zu sein und sich auf die jeweilige Aufgabe zu konzentrieren. Angesichts unserer wachsenden Abhängigkeit von Technologie ist zu erwarten, dass immer mehr Organisationen ähnliche Strategien übernehmen, die eigenständiges Nachdenken und kritisches Denken fördern.
Innovatoren haben diesen Trend erkannt. Eine neue Welle von zweckorientierten Geräten entsteht, die die bewusste Nutzung fördern und uns in einen Zustand des Flows – auch bekannt als „the Zone“ – versetzen, anstatt unsere Aufmerksamkeit abzulenken. e-Reader wie der Kindle ermöglichen seit Langem ein immersives Lesen ohne Unterbrechungen. Jetzt sehen wir diesen Trend in größerem Maßstab: Minimalistische Handys, die kaum mehr als Anruf- und SMS-Funktionen bieten, Kameras, die die Kunst des Fotografierens in den Fokus stellen, statt auf das Teilen abzuzielen, und eigenständige Musikplayer, mit denen wir Musik ohne die ständige Flut von Nachrichten und Benachrichtigungen genießen können.
Missverstehen Sie mich nicht – dieser Wandel bedeutet nicht, digitale Konnektivität aufzugeben, sondern vielmehr, achtsam damit umzugehen, wie Geräte unsere Absichten unterstützen können, anstatt einfach nur unsere Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Es geht darum, ein empfindliches Gleichgewicht zu finden. Persönlich widme ich einen Nachmittag pro Woche dem Lernen, schalte mein Handy und meine E-Mails aus, um mich auf das Lesen wissenschaftlicher Arbeiten oder das Erkunden neuer AWS-Dienste zu konzentrieren. Ebenso verzichten leistungsstarke Führungskräfte oft in der ersten Stunde ihres Tages auf ihre Telefone, um ihre kognitiven Fähigkeiten zu steigern – eine Praxis, die von Expert:innen der Stanford Lifestyle Medicine unterstützt wird.
Diese Praktiken entsprechen dem niederländischen Konzept des „Niksen“ – der bewussten Muße oder der Kunst, nichts zu tun. Für Amerikaner:innen kommt dem wohl am ehesten das meditative Tagträumen nahe. Dieser Ansatz erkennt an, dass in unserer zunehmend komplexen Welt die Rückkehr zur Einfachheit dazu beitragen kann, Technologie mit unseren Kernwerten und unserer psychischen Gesundheit in Einklang zu bringen. Mit mehr Intentionalität können wir unsere Beziehung zur Technologie verbessern und sicherstellen, dass sie uns stärkt, statt uns abzulenken.
Mehr AWS Tech Predictions 2025 von Werner Vogels:
Teil 1: Die Arbeitskräfte von morgen sind auftragsorientiert
Teil 2: Eine neue Ära der Energieeffizienz treibt Innovation voran
Teil 3: Technologie gibt den Ausschlag bei der Wahrheitsfindung
Teil 4: Offene Daten fördern die dezentrale Katastrophenvorsorge