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ChatGPT verändert die Welt, doch schon arbeiten Forschung und Industrie an der nächsten Disruption: Quantencomputing. Aber was machen Quantenbits besser als 1er und 0er? Und wie bereitet man sich auf den Quantensprung vor? Christian Nietner, Head of Quantum Computing & Advanced Analytics bei NTT Data, im Gespräch.
Foto: DCStudio/Freepik Quantencomputer können eine bestimmte Klasse Probleme innerhalb von Minuten oder Sekunden, für die herkömmliche Rechner Stunde oder Tage brauchen. it&t business: Was macht Quantencomputing so besonders?
Christian Nietner: Quantencomputing ist ein revolutionärer Ansatz, Probleme zu lösen. Klassische Computer stellen Informationen in Bits dar – 1 oder 0. Quantencomputer rechnen dagegen mit Quantenbits, kurz Qubits. Diese können mehrere Zustände gleichzeitig annehmen und legen sich erst bei der Messung auf einen bestimmten Zustand fest. Sie funktionieren nach dem Prinzip der Quantenmechanik – es geht um Zufall und Wahrscheinlichkeit.
it&t: Was heißt das in der Praxis?
Nietner: So können Quantencomputer bestimmte Probleme schneller lösen als herkömmliche Computer. Ein Beispiel wäre das Zerlegen einer großen Zahl, etwa bei der Verschlüsselung. Klassische Computer können hier Jahre brauchen, Quantencomputer dagegen nur einige Minuten oder Sekunden. Bei anderen Problemen liefern sie Ergebnisse mit gleicher Geschwindigkeit und Güte, brauchen dafür aber weniger Parameter.
it&t: Hat die Technologie auch Nachteile?
Nietner: Quantencomputer sind empfindlich gegenüber Störungen, man muss sie in einem kontrollierten Umfeld betreiben. Und ihre Programmierung funktioniert nach anderen Konzepten: Sie erfordert Kenntnisse in Quantenmechanik und Quantenalgorithmen – nicht eben trivial. Doch man kann sie sich aneignen, und das kann sich lohnen.
it&t: Wo sehen sie konkrete Anwendungsfelder für Quantencomputing?
Nietner: Zum Ersten ist die Materialsimulation in Chemie- und Pharmaindustrie zu nennen. Der Vorteil von Quantenprozessoren ist hier, dass wir Quanten, in Form von Qubits, verwenden, um Quanten, in Form von Molekülen oder Polymerverbindungen, zu berechnen. Das Problem und der Rechner sprechen gewissermaßen die gleiche Sprache.
Das zweite Feld ist Planung, Optimierung und Skalierung von Prozessen und Systemen. Zum Beispiel, wenn man den Datenfluss in Netzwerken optimieren oder begrenzte Personalressourcen für eine große Zahl an Aufgaben optimal einsetzen will. Je mehr Variablen man mit verschiedenen möglichen Kombinationen miteinrechnen möchte, desto sinnvoller wird Quantencomputing.
Statistische Simulationen sind das dritte Feld, ob bei Verkehrsführung, Wetterverlauf oder Aktienkursmodellen. Auch hier geht es schließlich um die Wahrscheinlichkeitsverteilung über viele Variablen hinweg.
Und das vierte Feld ist Machine Learning. Wir haben alle mitbekommen, welch enorme Datenmengen zum Beispiel ein großes Sprachmodell wie ChatGPT verarbeiten muss. Auch hier geht es oft um Wahrscheinlichkeit statt um fixe Regelfolgen. Ein Quantencomputer kann hier Daten effizienter verarbeiten und bessere Ergebnisse liefern.
Immer sind dabei hybride Lösungen aus klassischen Rechnern und Quantencomputern im Einsatz, um die jeweiligen Stärken zu nutzen.
it&t: Welche Architektur steht hinter System für Quantencomputing?
Nietner: Es gibt derzeit zwei generelle Ansätze: einen universellen und einen spezifischen. Der universelle Quantencomputer orientiert sich in seinem Aufbau an konventionellen Rechnern: Er manipuliert Qubits durch logische Gatter, englisch „Gates“. Das sind logische Funktionen wie „und“, „oder“, „entweder / oder“ und so weiter. Durch diese lassen sich Informationen logisch kombinieren. „Universell“ heißt, dass dieser Quantencomputer alles berechnen kann, was ein klassischer Rechner kann, dazu kommen noch die Stärken bei bestimmten Berechnungen, die Quantencomputing eben hat.
Der spezielle Ansatz dagegen ist das Quanten-Annealing. Er konzentriert sich allein auf das Lösen von Optimierungsproblemen, worin dieser Ansatz außerordentlich effizient ist. Er kann eine große Menge an Möglichkeiten schnell durchsuchen und eine ideale Lösung finden. Dieser Ansatz ist vergleichsweise einfach zu implementieren und zu skalieren, dafür ist aber wie gesagt das Einsatzgebiet beschränkt.
it&t: Welche Eigenschaften muss die Hardware mitbringen?
Nietner: Unterschiedliche Anwendungen haben unterschiedliche Anforderungen bezüglich der Betriebsbedingungen. Manche Quantencomputer müssen stark gekühlt werden und laufen nur nah am absoluten Null-Punkt; andere funktionieren problemlos bei Raumtemperatur. Das muss man bedenken, ebenso, wie genau die Ergebnisse sein sollen, wie schnell man sie braucht und so weiter – es ist immer eine Abwägung.
Foto: Annette Koroll Christian Nietner, NTT Data: „Quantencomputing ist ein interdisziplinäres Feld und erfordert ein Stück weit ein Ende von Silos und mehr Team-Denken.“ it&t: Wie unterscheidet sich die Software auf Quantencomputern von herkömmlichen Rechnern?
Nietner: Mit einem Wort: massiv. Und zwar in mehrfacher Weise. Erstens gibt es derzeit noch keine Standards bei den Programmiersprachen, das muss sich erst entwickeln. Was auch bedeutet, dass man viel experimentieren und Fehler beseitigen muss. Zweitens bewegt sich die Software sehr nah an der Hardware, sozusagen das Quanten-Analogon zu klassischer Assembler-Sprache. Das bedeutet, dass die Hardware-Ressourcen stark manuell gesteuert werden müssen.
Und drittens ist Quantencomputing ein interdisziplinäres Feld: Es reicht nicht, einfach nur Informatiker zu haben, um die Hardware zu steuern und die Software zu programmieren; ich brauche Physiker, um Fehler zu interpretieren; Mathematiker für die statistische Auswertung; Experten, die das Problem inhaltlich verstehen und Anforderungen formulieren. Das erfordert ein Stück weit ein Ende von Silos und mehr Team-Denken.
it&t: Inwiefern muss ich mich als Unternehmen aktuell mit dem Thema beschäftigen, um den Anschluss nicht zu verlieren?
Nietner: Unternehmen sollten sich nicht unnötig unter Druck setzen. Die wenigsten Unternehmen nutzen Quantencomputing im täglichen Betrieb. Es gibt allenfalls kleine Teams, die sich erste Projekte vorgenommen haben und da experimentieren. Bis sich das ändert und die Pioniere einem mit alltagstauglichen Lösungen davonlaufen, sind wir schon noch ein paar Jahre entfernt.
Man sollte das Thema aber zugleich auch nicht vernachlässigen. Quantentechnologie ist vielversprechend und kann sich bald zu einem großen Wettbewerbsvorteil entwickeln. Das bedeutet, wann immer es möglich ist, sollten Unternehmen diese Technologie mitdenken: Welche Probleme könnte ich sinnvollerweise mit Quantencomputing lösen? Wie kriege ich die entsprechenden Informationen auf einen Quantenrechner, welche Algorithmen wären zielführend? Welche Voraussetzungen habe ich für die Hardware?
it&t: Zu welcher Strategie raten sie Firmen, die an Quantencomputing interessiert sind?
Nietner: Hier bietet es sich an, zu experimentieren – man muss nicht zwangsweise gleich Quantencomputing-Hardware anschaffen, sondern kann mit sogenannten quanteninspirierten oder „quantum-ready“ Lösungen auf herkömmlicher Hardware erste Erfahrungen sammeln und Vorteile realisieren. Klar bieten sich auch Partnerschaften mit Technologiepartnern an oder Forschungskooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen, aus denen Know-how ins Unternehmen überschwappt.
Das Schöne an diesem noch wenig ausgetrampeltem Pfad ist: Wer sich jetzt etwas mit dem Thema beschäftigt, kann schnell in etwa so viel Kompetenz aufbauen, wie der Wettbewerb auch hat. Und wenn diese vielversprechende Technologie alltagstauglich ist, muss man dann sozusagen nur den Schalter umlegen und man ist dabei. So viel Zukunftssicherheit sollte man sich leisten, zumal die Investitionshöhe heute noch recht gering ist und sich mit ein wenig Interesse und Engagement schon viel vorbereiten lässt. Ich bin überzeugt: Es wird sich für viele lohnen.