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Künstliche Intelligenz ist für die Fertigungsindustrie längst keine Zukunftsvision mehr, sondern bietet großes Potenzial, um Produktivität und Qualität zu steigern sowie Kosten zu reduzieren. KI spielt in der Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen, aber auch in der Produktion und Qualitätssicherung eine zukunftsträchtige Rolle. Matthias Puhr, Data Scientist bei DCCS, gibt Einblick in die Einsatzmöglichkeiten von KI für Industrieunternehmen und gibt Tipps für erfolgreiche KI-Projekte.
Foto: DCCS Matthias Puhr ist Machine Learning Consultant der DCCS GmbH. Er unterstützt und berät bei der Umsetzung von Projekten in den Bereichen künstliche Intelligenz, Machine Learning und Data Science. Künstliche Intelligenz lässt sich als Sammlung ausgereifter Technologien zur Erkennung und Analyse von komplexen Zusammenhängen in Daten beschreiben. Für die Industrie leistet die KI wertvolle Dienste, um Prozesse zu digitalisieren und automatisieren. Mit KI-Methoden lassen sich vielschichtige Problemstellungen lösen, die bisherige Methoden vor große Herausforderungen gestellt haben. Grundsätzlich ist KI überall dort anwendbar, wo Daten in ausreichender Quantität und Qualität vorhanden sind. Je mehr Daten erhoben werden und je besser die Datenqualität ist, desto einfacher sind KI-Anwendungen umzusetzen. Eine weitere Voraussetzung ist eine geeignete Infrastruktur, um die KI-Applikation betreiben zu können. Im industriellen Umfeld bieten sich insbesondere Produktionsprozesse für den Einsatz von KI an. Denn in modernen Fertigungsanlagen werden zahlreiche Daten erhoben und gespeichert, die in weiterer Folge als Ausgangsbasis für KI-Anwendungen dienen können.
Großes Potenzial für den Einsatz Künstlicher Intelligenz besteht in der Qualitätssicherung, wo die Technologie komplexe Zusammenhänge aus unterschiedlichen Datenströmen erkennen und manuelle Kontrolle ersetzen kann. Mitarbeitende sind mit der Komplexität und Menge der vorhandenen Daten oft überfordert und schaffen es nicht, oder nur mit großem zeitlichem Aufwand, aus der Datenflut Zusammenhänge bzw. Handlungsanweisungen abzuleiten. Hier kann die KI durch sinnvolle, kontextabhängige Vorfilterung der Daten unterstützen oder Prozesse vollständig automatisieren. In vielen Fällen ist damit eine aufwändige Spezifikation möglicher Fehler und die Definition von Testfällen für die Qualitätskontrolle nicht mehr erforderlich. Basis für KI-Anwendungen zur Qualitätssicherung sind die großen technologischen Fortschritte, die zuletzt z.B. in der Computer Vision erzielt wurden und neuartige Einsatzmöglichkeiten erschließen. Visuell-basierte KI-Anwendungen können nicht nur Informationen aus digitalen Bildern und Videos verarbeiten, sondern auch Röntgen- oder Infrarotaufnahmen.
In der Qualitätssicherung ermöglichen die maschinelle Bilderkennung und -analyse für viele Anwendungsfälle eine vollautomatische optische Prüfung von Bauteilen. Durch Verwendung von vortrainierten oder Open-Source-KI-Modellen in Kombination mit fortschrittlicher Anomalieerkennung können KI-Algorithmen entwickelt werden, die anhand von vorgegebenen Trainingsbildern lernen, wie z.B. ein Bauteil aussehen soll. Anomaly Detection wird eingesetzt, um Ausreißer oder Abweichungen in Daten zu finden. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Großteil der Informationen eine bestimmte Form hat und alle Daten, die deutlich davon abweichen, eine Anomalie darstellen. Im Fertigungsprozess können so Kamerabilder von Bauteilen analysiert und fehlerhafte Produkte zuverlässig erkannt werden. Der große Vorteil dieses Anomaly-Detection-Ansatzes liegt darin, dass Abweichungen von einem gewünschten Sollzustand frühzeitig erkannt werden, ohne dass im Vorhinein alle möglicherweise auftretenden Fehler spezifiziert werden müssen. KI kann so maßgeblich dazu beitragen, die Effizienz von Qualitätssicherungsprozessen zu steigern und damit die Kosten signifikant zu reduzieren.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist nicht nur in der Qualitätskontrolle und Fertigung, sondern auch in vielen anderen Bereichen sinnvoll. Einen deutlichen Mehrwert kann die KI-unterstützte Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen bringen – wie etwa die Klassifizierung von Dokumenten. Das umfasst zum Beispiel die automatische Beurteilung von Anträgen oder die direkte Weiterleitung einer E-Mail an die zuständige Abteilung. Mit KI-Methoden können bei ausreichend vorhandenen Trainingsdaten Erfolgsquoten von weit über 90 Prozent erzielt werden. Ein weiterer Einsatzbereich für KI sind große Datenmengen, die innerhalb kürzester Zeit verarbeitet werden müssen – z.B. die Echtzeitüberwachung aller Maschinen in einer Produktionshalle. Hier können intelligente Anwendungen in Sekundenbruchteilen – und damit viel schneller als der Mensch – auffällige Messergebnisse erkennen und gegebenenfalls Maßnahmen einleiten.
Die großen Vorteile der künstlichen Intelligenz liegen in den konstanten, zuverlässigen Resultaten der Algorithmen, im Erkennen von Mustern und Zusammenhängen in großen Datenmengen, und in der Möglichkeit, schnell und automatisiert Entscheidungen zu treffen. Die Konstanz der Ergebnisse ist z.B. im Bereich der Qualitätssicherung besonders wichtig, da hier gleiche Eingangsdaten stets zu gleichen Entscheidungen führen müssen. Im Gegensatz zum Menschen werden KI-Werkzeuge nicht müde und können viele monotone Aufgaben deutlich schneller abarbeiten, als das für Menschen möglich ist. Mit intelligenten KI-basierten Systemen lässt sich die Produktivität steigern und eine konstant hohe Qualität erzielen.
Zwar gibt es am Markt unterschiedliche KI-Standardlösungen, diese sind aber meist unflexibel und nur für bestimmte Einsatzzwecke nutzbar. Komplexere Anwendungsfälle oder kundenspezifische Aufgabenstellungen erfordern im Regelfall eine individuelle Anpassung und dementsprechendes Know-how von KI-ExpertInnen, die eine maßgeschneiderte Lösung entwickeln können. Am Beginn eines KI-Projektes steht die umfassende Analyse der vorhandenen Daten und der jeweiligen Prozesse. Zusammen mit Stakeholdern und Domänenexperten erarbeiten sich die KI-Experten ein umfassendes Verständnis des Anwendungsfalls und der Aufgabenstellung. Im nächsten Schritt werden die Daten aufbereitet und – wo notwendig – bereinigt, transformiert und homogenisiert. Die Form der Trainingsdaten für die KI muss zu den verwendeten Algorithmen passen. Welche Algorithmen für die Lösung in Frage kommen, hängt von vielen Faktoren ab. Eine große Rolle spielt hier die zur Verfügung stehende Infrastruktur und die Anforderungen an die Genauigkeit und Präzision. In der Praxis wird meist ein Modell bevorzugt, das nicht ganz genaue Ergebnisse, aber in schnellerer Zeit und mit weniger Ressourcenverbrauch liefert als ein exakteres, aber kostspieligeres Modell.
Ein wichtiger Punkt ist auch das Deployment bzw. die Bereitstellung des KI-Modells. Es muss dafür gesorgt werden, dass die KI für alle potenziellen NutzerInnen zur Verfügung steht und idealerweise nahtlos in die Bestandssysteme integriert ist. Im industriellen Umfeld kann auch die Integration von KI in den Produktionsprozess oder die Maschinensteuerung ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein. Das Deployment wird oft vernachlässigt, was dazu führt, dass viele KI-Projekte nie über den Stand eines „Proof-of-Concept“ hinauskommen. In der Praxis sind oft mehrere Iterationen der Projektphasen sinnvoll, etwa wenn neue Datenquellen oder Informationen berücksichtigt werden müssen. Wesentlich bei der Entwicklung KI-basierter Anwendungen ist, das Gesamtprojekt nicht aus den Augen zu verlieren. Oft macht der KI-Anteil nur einen kleinen Teil der Gesamtaufwände aus, während Wartung, Deployment und Integration in die Bestandsysteme den größeren Teil darstellen.
Viele KI-Algorithmen sind eine „Black Box“ und ihre Aktionen sind nur schwer nachvollziehbar. Wenn Nachvollziehbarkeit ein wichtiges Thema ist, müssen bestimmte KI-Methoden ausgeschlossen werden. Lösungen, die hundertprozentige Zuverlässigkeit bieten, sind mit den meisten KI-Methoden nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand erreichbar. Wenn Fehlentscheidungen gravierende Auswirkungen haben können, muss eventuell auf den (ausschließlichen) Einsatz von KI verzichtet werden. Zu bedenken ist auch, dass KI im Vergleich zu anderen Ansätzen relativ viele Ressourcen (Rechenleistung, Speicherplatz) benötigt. Anwendungsfälle, für die diese Ressourcen nicht zur Verfügung stehen (z.B. Mikrokontroller, smarte Sensoren) eignen sich unter Umständen nicht für KI. Fest steht, dass in Zukunft Künstliche Intelligenz in Bereichen wie Qualitätssicherung nicht mehr wegzudenken sein wird. Sie liefert hier einen echten Mehrwert und Wettbewerbsvorteil.
Aus unserer mehrjährigen Erfahrung mit der Umsetzung von KI-Projekten in der Industrie sind mehrere Faktoren wesentlich für den Erfolg:
Die richtigen Fragen stellen
Vor Projektbeginn sollte man die Prozessgrundlagen evaluieren:
Prozess- und Datenanalyse
Eine Prozess- und Datenanalyse ist grundlegend, um zu evaluieren, ob Informationen in ausreichender Quantität und Qualität vorhanden sind. Je besser die Datenqualität und -verfügbarkeit ist, umso einfacher sind KI-Anwendungen umzusetzen.
Nicht nach der perfekten Lösung suchen
Eine hundertprozentige Lösung ist oft nur schwer oder mit unwirtschaftlich hohem Aufwand zu erreichen. Daher ist es meist nicht sinnvoll, direkt eine perfekte Lösung anzustreben oder zu versuchen, MitarbeiterInnen zu ersetzen. Teillösungen oder die Automatisierung von Teilprozessen bieten oft einen hohen Mehrwert, Qualitätsgewinn oder Einsparpotenzial. KI ist als Assistenzfunktion zu sehen, die unterstützen und die Produktivität steigern kann.
Gesamtprojekt nicht unterschätzen
Die KI und der zugehörige Programmcode bilden meist nur einen kleinen Teil der Gesamtlösung. Entscheidend für den Erfolg ist eine gelungene Integration in die Systemlandschaft und Infrastruktur. Dafür braucht es Spezialisten, die neben dem spezifischen Fach- bzw. Domänenwissen für das jeweilige Projekt auch Knowhow aus den Bereichen Softwareentwicklung, KI und Infrastruktur mitbringen. Der Aufwand für die Umsetzung einer KI-basierten Anwendung sind, je nach Anwendungsfall, sehr unterschiedlich. Für einen Proof-of-Concept sind 15 bis 30 Projekttage einzuplanen.